Der Bär in der Luft - der Bomber Tupolew Tu-20/Tu-95/Tu-142 (Bear A-H)im Maßstab 1:72 - Autor: Ralf Martin

Beschreibung

Dieses von der Auslegung her einmalige Flugzeug wurde lange Zeit im Westen nicht richtig für voll genommen, man war der Meinung, dass nur ein Jetbomber eine vollwertige Konstruktion wäre. Bis dieser Irrtum erkannt wurde, gingen Jahrzehnte ins Land, während man in Russland die Qualitäten dieses gigantischen Turbopropbombers sehr wohl erkannte, denn sonst wäre seine Produktion 1979 nach 15 Jahren Fertigungspause wohl nicht wieder angelaufen.


Doch der Reihe nach.

Im Rüstungswettlauf nach dem 2. Weltkrieg konnte Russland mit seinen nachgebauten B-29 Bombern, der Tu-4 und einigen daraus abgeleiteten Versionen, bei den strategischen Bombern nicht besonders mithalten. Ein neues Bomberprogramm brachte neben vielen strahlgetriebenen Modellen auch das Model 95 bei Tupolew hervor. Das Flugzeug war schon mit den stärksten je gebauten Propellerturbinen, dem stark gepfeilten Tragwerk und dem langen schlanken Rumpf eine auffallende Konstruktion. Das bei Kusnetzow unter maßgeblicher Teilnahme von einem deutschen Konstruktionsteam unter der Leitung von Ferdinand Brandner entwickelte Triebwerk NK-12 leistete 8826 kW (heute sogar 11030 kW=14795PS). 4 Stück davon mit gegenläufigen Propellern verliehen der Maschine über 800 km/h Geschwindigkeit (heute über 900 km/h). 1952 flog der erste Prototyp und bereits 1955 begann die Serienproduktion. Bis 1965 wurden etwa 180 Maschinen in diversen Varianten gebaut. In die Truppe eingeführt wurde der Bomber anfänglich unter der Bezeichnung Tu-20, die aber nur für den mit frei fallenden konventionellen und atomaren Bomben bestückten Typ benutzt wurde. Später wurde die Bezeichnung Tu-95 für neuere Varianten verwendet. Eine der Tu-20/Tu-95 sehr ähnlich sehende, aber völlig neu konstruierte Version (neuer längerer Rumpf, neue Flügel mit Doppelspaltklappen) für die russische Marine als U-Bootjäger und Seeaufklärer erhielt die Bezeichnung Tu-142 (Bear F). Es ist das größte Flugzeug dieser Kategorie auf der Welt überhaupt und seiner Rolle entsprechend mit Magnetdetektoren, Wasserbomben und Sonarbojen sowie diversen Radaranlagen ausgestattet. Aus dieser Version wurde 1979 die neueste Version Tu-95MS entwickelt, ein Träger für Marschflugkörper. Bis 1992 wurden ca. 90 Maschinen dieser Variante gefertigt. Es gibt nach wie vor keine umfassenden Informationen über dieses Flugzeug, die im Westen gebräuchlichen Typidentifizierungen (Bear A bis H) decken sich zum Teil nicht mit den russischen Varianten. Man geht von ca. 250-260 gebauten Maschinen aller Typen aus, von denen noch ca. 170 im Dienst stehen sollen.

Versionen:


Eingesetzt wird die Tu-95 nur von Russland und der Ukraine, die Tu-142 fliegt auch in Indien.

 

Technische Daten:

Länge 49.13 m
Spannweite 50.04 m
Höhe 13.3 m
Antrieb vier Propellerturbinen
NK-12MV mit 11033kW/14795PS
Hersteller Konstruktionsbüro Tupolew


Bear A Bear B Bear C Bear D Bear E Bear F Bear H
Besatzung 10 5-6 7
Waffenlast 4,530 kg 11,300 kg 0 8,500 kg unbekannt
Vorrat an Treibstoff 116,400 l 107,600 l 105,600 l 116,400 l 120,400 l unbekannt
Flügelfläche 310.5 m2 311.1 m2
Startmasse 165,350 kg (max) 161,720 kg (normal) 187,750 kg (max)
Maximalgeschwindigkeit 870 km/h 855 km/h 925 km/h
Reisegeschwindigkeit 750 km/h 740 km/h 730 km/h
Steigfähigkeit 6.4 m/s unbekannt
Flughöhe 12,100 m 11,730 m 11,600 m 14,050 m 460 m 12,000 m 12,000 m (max)
Operative Reichweite
ohne Nachbetankung
7,590 km 6,760 km 6,390 km 6,760 km 3,660 km 6,275 km
Bewaffnung 6 Kanonen NR-23 23mm; Flugkörper AS-3 Kangaroo sowie konventionelle und atomare Bomben 2 Kanonen NR-23 23mm; Torpedos, Wasserbomben, Bomben. 1-2 Kanonen AM-23 23mm; 6 Marschflugkörper(Bear H6/ Tu-95MS6) oder 16 Marschflugkörper(Bear H16/ Tu-95MS16)AS-15 Kent


 

Das Modell

Nachdem A-Model bereits vor einem halben Jahr einen extrem teuren Bausatz in Mischbauweise herausbrachte, den ich aber nicht näher kenne, liegt nun von Trumpeter in Spritzguss ein wahrhaftiges Traummodell dieses Exoten vor. Auch nicht billig mit um die 90€, aber absolute Spitze. Er besteht aus 171 sauber gefertigten und mit versenkten Gravuren versehenen Teilen, die prinzipiell sehr gut zusammen passen. Die Bauanleitung ist ausgezeichnet und für die Farbgebung liegt eine schöne farbige Zeichnung bei. Die Teile sind manchmal etwas schwierig zu lösen, da die Angüsse oft nach innen oder an sehr dünne Teile gehen. Der größte (mir aber erst später aufgefallene) Fehler scheint ein um 2 mm zu geringer Rumpfdurchmesser zu sein. Er soll für den zylindrischen Teil des Rumpfes 2,9 m betragen, das sind in 1:72 44,27 mm. Er ist aber nur 38,3 mm im Durchmesser. Ansonsten, legt man die oben genannten Abmessungen zugrunde, ist der Bausatz sehr gut im Maßstab wiedergegeben. Bei der Größe des Modells hat man aber schon Schwierigkeiten, überhaupt richtig zu messen. Das stellt einen auch beim Bau vor ungewohnte Probleme. So kann man eigentlich nur in großen Baugruppen vormontieren. Die Tragflächen habe ich gar nicht eingeklebt, sondern wegen Platzproblemen in der heimischen Vitrine zum einstecken gelassen. Leider passen die Tragflächen nicht sehr gut an den Rumpf. Die Modellvariante ist eine Tu-95MS, also die jüngste Version. Bei dem hohen Preis sehe ich einen Nachteil darin, dass keine Marschflugkörper mit ihren Halterungen unter den Tragflächen enthalten sind, auch im Bombenschacht herrscht gähnende Leere. Das Cockpit ist ebenfalls zu spartanisch eingerichtet. Nur zwei etwas unterdimensionierte Sitze, das Armaturenbrett, die Steuersäulen und seitliche Konsolen sind zu finden. Ansonsten können die Tragflächen mit den beweglichen Doppelspaltklappen (was prinzipiell zwar geht, aber wiederum nicht besonders gut) und separaten Querrudern ausgestattet werden, auch das Seitenruder und die Höhenruder sind einzeln gefertigt und können beliebig montiert werden. Die Passgenauigkeit ist meist sehr gut, allerdings mit der Ausnahme Cockpit. Irgendwie passte das bei mir nicht zusammen, bis ich die Rippen links und rechts an der Wand des Cockpits abgeschliffen hatte. Gewöhnungsbedürftig fand ich auch den Einbau der Düsen in den Triebwerken (Teile E4), die recht gefühlvoll in ihre Position gedrückt werden müssen, damit sie sitzen. Die äußeren Triebwerke haben auch ein kleines Toleranzproblem, jedenfalls klemmen sich die Propellerwellen ziemlich fest. Das Fahrwerk sollte man nicht wie in der Bauanleitung beschrieben zuerst in die Schächte bauen, sondern warten bis zum Schluss wenn das Flugzeug lackiert ist. Allerdings muss man dann die Köpfe der Teile E24 vorher abschneiden. Aber die sind sowieso nicht zu sehen. Ein Problem hatte ich mit der Vormontage in Baugruppen, die man aber nicht unbedingt dem Bausatz anlasten kann. So bekam ich fast 1mm Versatz bei der Montage der Triebwerke an die Tragflächen, weil ich die Flügel beim Verkleben etwas zu sehr zusammengedrückt hatte. Die Distanzstücke im Flügel scheinen nicht so richtig zu funktionieren. Das gab dann viel Arbeit mit verspachteln und verschleifen sowie zumindest teilweisem nachgravieren, denn die feinen versenkten Gravuren im Motorenbereich und Tragflächenbereich sind schnell verschwunden. Fragwürdig ist auch die Innenstrukturierung der Tragflächen, davon ist später nichts mehr zu sehen. Auch die großen Klappen beweglich zu montieren bringt eigentlich nichts, man sollte sie besser verkleben. In der Unterseite des Rumpfes sind viele einzelne Luken zu montieren, die alle schlecht passen, die hätte man meiner Meinung nach nicht so gestalten müssen. Auch die Klappen des Bombenschachts schließen nicht richtig. Das vormontierte Heckteil hatte einen leicht abweichenden Durchmesser zum Vorderrumpf, hier ist es vielleicht angebracht, erst die Seitenteile von Vorder- und Hinterrumpf zu verkleben und dann daraus den Rumpf zu komplettieren. Dabei darf im Bug nicht mit Gewicht gespart werden. Die angegebenen 65g sind das Minimum, ich habe etwas mehr genommen und mein Modell steht gerade so. Im Heckteil sollte die Wand nach hinten zur Verglasung des Schützenstandes geöffnet werden, ich glaube nicht, dass russische Bombenschützen vor ihren Fenstern gerne Wände hatten. Die vorderen Verkleidungen des Bugfahrwerkschachtes passen nicht, vorher müssen die dort angebrachten Erhebungen abgeflacht werden. Dass sich die Längsgravuren an den Rumpfteilen nicht treffen braucht niemanden zu verunsichern, das ist an den Originalmaschinen fertigungsbedingt genau so. Die Fahrwerke sind sehr schön detailliert und beeindrucken ebenso wie die großen Doppelpropeller, auch wenn an den Propellerverkleidungen starke Grate vom Formenversatz vorhanden sind. Ich habe mir noch eine andeutungsweise Inneneinrichtung gebaut, aber davon sieht man leider nach der Montage nichts mehr. Aber wenigstens schließt sie das Cockpit zum Rumpf hin ab.

Farbgebung

Die Maschinen sind meist in verschiedenen Aluminium Farbtönen und diversen grauen Farben gehalten. Auch die Verkleidungen der Radars und Elektronik ist in verschiedenen Grautönen bis hin zu fast weiß ausgeführt. Der Rumpf ist fast immer aluminiumfarben in verschiedenen Schattierungen, während die Tragflächen und Triebwerke häufig grau sind. Genaue Regeln scheint es nicht zu geben. Die Maschinen stehen alle unter rauesten kontinentalen klimatischen Bedingungen im Freien und sind meist ziemlich abgeflogen und verwittert, werden dann teilweise wieder überholt und ausgebessert oder auch wieder kompletten Überholungen, Aufrüstungen und Nachbesserungen unterzogen. Man sollte sich an Vorbildfotos orientieren. Der Bausatz bietet die Möglichkeit, eine ukrainische und eine russische Maschine zu dekorieren. Die russische Variante ist sehr gut dokumentiert, weil sie 1992 zu Besuch auf der Barksdale Air Force Base in Louisiana war. Ich habe mich allerdings relativ kurzfristig für die Markierung einer Kommandeursmaschine des 184. Schweren Bombenfliegergeschwaders der 37. Armee von der Basis Engels an der Wolga entschieden. Die Farbgebung ist nicht ganz 100%ig, aber doch typisch. Sie trägt unter dem Cockpit das Wappen und den Schriftzug der Stadt Saratov, die die nächstgrößere Stadt in der Nähe der Basis ist. Auch andere Maschinen tragen inzwischen die Namen und Wappen russischer Städte. Die Kommandeursmaschinen sind an der hellblauen Farbe der Leitwerkswurzel zu erkennen. Diese Maschine war eine der ersten, die nach fast 10 jährigem darniederliegen des Fernflugbetriebs im Jahr 2001 wieder einen richtigen Langstreckenflug zum Nordpol und zurück machte - und zwar am 11. September, dem Tag des Anschlags auf das World Trade Center.

 

Quellen:

International Air Power Review, Bd.6, Air Time Publishing, 2002

Flug Revue Nr. 5/1994

Aircraft - Die neue Enzyklopädie der Luftfahrt, Heft Nr. 119